Was ist Ultracycling?

Wer sich mit Fahrradrennen und/oder Extremsport beschäftigt, wird früher oder später über den Begriff “Ultracycling” stolpern. Aber was genau ist Ultracycling?

Wenn du mehr als die gängige Marathon-Distanz läufst, ist das Ultra-Running. Wenn du an die festgelegten Triathlon-Distanzen noch Strecke anhängst, ist das ein Ultra-Triathlon. Fährst du beim Ultra-Cycling also einfach mehr als … ja was denn? Die großen Radrennen sind nämlich nicht der Strecke nach definiert, die Strecke der Tour de France ändert sich zum Beispiel jedes Jahr etwas. Daher gibt es auch für Ultracycling keine feste Definition. 


Viele Sportler*innen verstehen unter Ultracycling einfach mehr Radfahren. Weiter als normale Tages-Rennen. Länger als gängige Etappenrennen. Mehr Höhenmeter als normale Bergfahrten. Ober aber mehr Stunden im Sattel, als ein Mensch normalerweise am Stück wach ist. "Mehr" beschreibt Ultracycling damit schon ziemlich gut – es geht im Grunde darum, herauszufinden, wie viel Belastung ein menschlicher Körper aushält. Denn häufig gilt zusätzlich zu wahrlich gigantischen Strecken die Non-Stop-Regel als Unterscheidungsmerkmal zwischen Radrennen und Ultracycling (aber auch nicht immer, und was Non-Stop heißt, erfährst du gleich).

 

Sind Radrennen wie die Tour de France denn kein Ultracycling? 

Mehr Fahrrad fahren, als einem normalen Menschen so gemeinhin einfällt …das trifft doch eigentlich auf viele Fahrradrennen zu. Sind die großen Radrennen über mehrere Etappen und Ultracycling dann nicht dasselbe? 

Tatsächlich unterscheiden diese Rennen sich nicht so sehr, während die Fahrer auf dem Fahrrad sitzen. Dann heißt es treten, treten, treten… Aber es gibt zwei entscheidende Unterschiede: 

1. Bei Etappenrennen wird tagsüber gefahren, am Abend wird die Uhr angehalten und erst ab dem nächsten Start läuft sie weiter. Beim Ultracycling wird die Zeit meist non-stop gemessen. Das führt zu heftigstem Schlafentzug, mehr dazu erfährst du weiter unten. 

2. Außerdem ist die Organisation drumherum eine völlig andere Nummer. Während bei den weltberühmten Rennen jede Menge Unterstützung auf die Fahrrad-Profis wartet, sind Ultracycling-Challenges zwar oft in irgendeiner Form organisiert, aber unterwegs meist self-supported. Das heißt: Kein Team-Fahrzeug mit Chef-Mechaniker, Ersatzteilen oder sogar ganzen Ersatzfahrrädern im Schlepptau. Keine Getränkestationen. Keine Pasta-Party vor dem Start. Keine Massagen für die verknoteten Waden. Selbstversorgung ist angesagt.

 

Non-Stop Ultra-Cycling

Viele Rennen im Ultracycling werden nach dem Non-Stop-Prinzip gefahren, denn es gibt keine Tagesabschnitte, nach deren Erreichen die Fahrer*innen verschnaufen könnten. Die Uhr läuft ab dem Start durch bis zum Finish, und das oft tagelang! Das führt dazu, dass sich die Athlet*innen oft nur ein bis zwei Stunden Schlaf gönnen, bevor sie wieder in den Sattel steigen. Non-stop macht daher auch vergleichsweise kleine Strecken oder kurze Zeiten wie 500km oder 32 Stunden zu einem echten Höllenritt.

Diese Ultracycling Events verlangen nicht nur eine herausragende Fitness, sie erfordern auch Erfahrung, eine ehrliche Selbsteinschätzung und gute Planung. Vor allem, wenn die Fahrt self-supported ist, können gemütliche Schlafplätze unterwegs schwierig zu finden sein, diese Events bringen die Fahrer*innen also wirklich ans Limit ihrer Leidensfähigkeit! 

 

Ultracycling mit Zeitmessung oder Zeitlimit

Musst du für Ultracycling die Stoppuhr zücken? Kommt darauf an … Bild © Veri Ivanova auf Unsplash

Was den Einsatz einer Stoppuhr angeht, gibt es beim Ultracycling drei Varianten:

Ultracycling kann durchaus Renncharakter annehmen, mit Zeitmessung, Siegerehrung und allem drum und dran. Bei einigen Rennen wirst du dazu aufgefordert, gegen dich selbst anzutreten, das letzte bisschen Energie zu mobilisieren und deine persönlichen Bestzeiten zu unterbieten. Bei anderen Rennen trittst du dagegen klassisch Kopf-an-Kopf gegen die anderen Teilnehmer an. 

Gerade bei längeren Fahrten gibt es keine Zeitmessung im eigentlichen Sinn. Wenn im Ultra Distance Cycling Tausende Kilometer bezwungen werden sollen, gibt es oft keine Zeitmessung, wohl aber ein Zeitlimit, in dem die Teilnehmer das Ziel erreicht haben sollten. Es gibt dann keinen Sieger, dafür aber eine Menge “Finisher”.

Möglichkeit Nummer drei: Wenn du auf eigene Faust losfährst, um eine besonders große Distanz zu überwinden, kannst du deinen Zeitrahmen natürlich selbst bestimmen. 

Ultracycling ist in der Regel self-supported

Wenn ein Ultracycling Fahrradrennen sich an Selbstversorger richtet, gibt es vom Veranstalter keinerlei Hilfestellung. Für Verpflegung, Wasservorräte, Gepäck und Fahrradreparaturen sind die Fahrer komplett selbst verantwortlich. Je nachdem, was die Veranstalter vorschreiben, ist Hilfe von außen komplett verboten oder zumindest selbst zu organisieren. Hier kommt dann nicht nur der sportliche Ehrgeiz auf den Prüfstand, auch Organisationstalent, Selbstgenügsamkeit und Eigenständigkeit werden erprobt.

Oft ist der Gepäcktransport ebenfalls selbst zu erledigen, das Fahrrad wird also in bester Bikepacking-Manier beladen, wo’s nur geht. Wenn kein Zeitlimit vorgegeben ist, kann Ultra-Cycling dann sogar mit Cargo-Bike oder Gepäckanhänger stattfinden! 

 

Ultra Endurance Cycling 

Zwei Arten Ultra Cycling Rennen findest du am häufigsten, die einen gehen über eine ultra-weite Distanz, die anderen dauern ultra-lange. In beiden Fällen wird die Ausdauer auf eine harte Probe gestellt. 

 

Ultra Endurance Cycling nach Distanz 

500km auf dem Fahrrad sind für einen normal sportlichen Menschen schon viel. Wie klingen da erst 3000, 5000 oder sogar 10 000km? Solche ultralangen Herausforderungen gelten als Ultra Distance Cycling. Hier musst du einfach durchhalten und endurance (engl: “Ausdauer”) beweisen.

Aber fangen wir klein an – schon Strecken von 500km können Ultracycling sein und dein Durchhaltevermögen arg auf die Probe stellen. Die Rede ist dann nämlich von 500km am Stück und ohne Pause, also non-stop

Beim Überqueren eines Kontinents oder einer Gebirgskette, bei einem “Race across France” oder “Race around Austria” kommen einige tausend Kilometer zusammen, und die Fahrten gelten damit als Ultra Distance Cycling. Du hast es weiter oben gelesen, es gibt keine festgelegte Definition, aber ab etwa 3000 bis 4000km darf eine Tour oder ein Rennen sich Ultracycling nennen. Beim Trans Canada Bike Race wurde 2022 die weltweit längste Strecke gefahren, nämlich sagenhafte 12 500km! Ob es irgendwann eine Neuauflage dieser Challenge geben wird, steht leider noch nicht fest. 

Es geht aber auch vertikal: Eine besondere Herausforderung ist es, nicht Kilometer, sondern Höhenmeter zu sammeln. Es gibt Athleten, die Weltrekorde im Klettern knacken, die höchsten Gipfel erfahren oder die Alpen überqueren, aber eine besonders beliebte Ultracycling Challenge ist das “Everesting”. Hier gilt es, auf dem Fahrrad Höhenmeter zu sammeln, um insgesamt auf die 8.848 Meter des Mount Everest zu kommen. Wo deine Höhenmeter genau liegen, ist egal. Du kannst einige Passstraße in den Alpen fahren, mehrmals eine Straße durch die Mittelgebirge oder Hunderte Male die Spirale der Ausfahrt im Parkhaus nehmen. Auch Pläne wie 10 000 Höhenmeter in 12 Stunden wären waschechtes Ultracycling.

Ultracycling kann auch bedeuten, möglichst viele Höhenmeter zu spulen. Alpen und Mittelgebirge liefern dann einen spektakulären Hintergrund. Bild © Axel Brunst auf Unsplash 

Ultra Endurance Cycling – nach Stunden

Beim Ultra Endurance Cycling müssen die Teilnehmer durchhalten, es gilt 6 Stunden, 10 oder 12 Stunden am Stück auf dem Fahrrad zu sitzen und in dieser Zeit die größtmögliche Distanz zu überwinden. Bei kürzeren road time trials kann der normale Schlafrhythmus noch einigermaßen beibehalten werden, in der nächsten Stufe geht es dann neben dem inneren Schweinehund auch den Tag-Nacht-Gewohnheiten an den Kragen.

Sowohl im Motorsport als auch im Radsport sind 24-Stunden-Rennen eine bekannte Nummer. Als Unterkategorie gelten 24-h-Mountain-Races, hier geht es nicht nur die ganze Nacht lang rund, sondern auch noch bergauf. Fahrten über mehr als 30 Stunden sind dann schon eine echte Herausforderung, denn auch hier wird kein Feierabend gemacht.

Diese Ultracycling Challenges bringen nicht nur die Fitness, sondern auch das Durchhaltevermögen und die Konzentration der Fahrer*innen ans Limit. Ein Non-Stop-Rennen über mehrere Tage ist dann der Extremfall.

 

Insgesamt können wir festhalten: Jedes Ultracycling folgt seinen eigenen Regeln. Der gemeinsame Nenner ist aber: Mehr. Mehr Kilometer. Mehr Höhenmeter. Mehr Zeit im Sattel. 

 

Fährst du Ultracycling gemeinsam oder alleine?

Ultracycling gibt es in organisierter Form, also in der Gruppe oder als Rennen. Aber auch Einzelkämpfer treten an, dann dienen oftmals Sponsoren, ein guter Zweck oder einfach ein persönliches, unvergessliches Erlebnis als Motivation.

Ultracycling im Team, im Fahrerfeld oder als Einzelkämpfer – es gibt unterschiedliche Ansätze. Es gibt organisierte Gravel-, Bikepacking- oder MTB-Events, die aufgrund der gefahrenen Distanzen oder Dauer absolut als Ultracycling gelten können, auch in unserem Beitrag zu Bikepacking-Events findest du welche. Hier fällt dann zu einem festgelegten Termin ein gemeinsamer Startschuss für alle gemeldeten Teilnehmer, gefahren wird im Fahrerfeld, als Duo, im Team oder alleine, ganz wie es sich aus den Geschwindigkeiten der einzelnen Teilnehmer*innen ergibt. Bei fast allen Ultracycling-Rennen ist drafting – das Fahren im Windschatten anderer – verboten, nur innerhalb eines Teams oder Duos darf man sich unterstützen.

Als Grundlage für Ultracycling Challenges können aber auch Fahrrad-Fernwege dienen, die von Bikern immer wieder gerne unter die Räder genommen werden, Routen über die Alpen, die Strecken der Tour de France oder die ehemalige innerdeutsche Grenze entlang sind hier gute Beispiele. Hier gibt es keinen organisierten Start, also fährst du los, wann und wie es dir gefällt. Wenn Extrem-Biker solche Touren in Eigenregie planen und fahren, kann durchaus Ultracycling daraus werden, wenn die Stecken entsprechend groß sind. Da hier das Zeitlimit komplett entfällt, wird oft auch von Randonneuring gesprochen, damit sind lange Radreisen ohne Zeitdruck gemeint.

 

Welche Ultracycling-Events gibt es?

Über den Lenker in den Sonnenaufgang – für Ultracycling-Athlet*innen bei Non-stop-Rennen ein bekannter Anblick! Bild © Luca J auf Unsplash

Wie du nun weißt, gibt es viele verschiedene Extrem-Herausforderungen für Radfahrer*innen. Daraus ergibt sich eine ebenso vielseitige Auswahl an Ultracycling-Events. Hier haben wir eine kleine Auswahl für dich:

 

Race Across America

Etwa 5000 km sind es von der West- zur Ostküste der USA, und die werden jährlich bei einem ultralangen Radrennen bezwungen. Dazu gibt es noch etwa 52 000 Höhenmeter on top. Die Uhr läuft die gesamte Zeit, was dazu führt, dass die Fahrer sich durchschnittlich etwa 2 Stunden Schlaf und Erholung am Stück gönnen, mehr nicht. Es gibt beim “RAAM” unterschiedliche Zeitlimits für Damen (fast 13 Tage), Herren (ca. 12 Tage) und Teams (ca. 9 Tage). Teilnehmer oder Teams dieses Ultracycling-Rennens werden in der Regel von einem Team unterstützt, das im Auto mit Verpflegung, Ersatzteilen und einer Schlafgelegenheit hinterherfährt, es ist also eines der seltenen supported Rennen. 

https://www.raamrace.org

 

Trans Am Bike Race

Die Trans Am erfüllt streckenmäßig ähnliche Kriterien wie das RAAM, ist aber komplett self-supported. Hier geht es auf Rennrädern über ausgebaute Straßen, die Highways sind zu meiden. Die Partnerveranstaltung Bike Nonstop US funktioniert ähnlich, macht aber einen Bogen um vielbefahrene Straßen. Dieses Ultracycling-Rennen richtet sich damit eher an ein Offroad-Publikum. 

https://transambikerace.com

https://bikenonstop.com

 

Badlands 

Badlands gilt als eine der Traum-Herausforderungen auf europäischem Boden. Etwa 750 km und 15 000 Höhenmeter klingt ja irgendwie machbar, wo bleibt da das “Ultra”? Hier sorgt die Non-Stop-Regel für Würze, die Uhr läuft fünf Tage lang weiter, während die Fahrer sich durch die karge Landschaft Südspaniens kämpfen. Das gesamte Rennen ist selbstversorgt, die Teilnehmer müssen also selbst für Verpflegung, Getränke und Fahrradreparaturen sorgen.

https://badlands.cc/badlands2023/

 

Terra Australis

Hier besteht die Ultracycling-Herausforderung aus komplett selbstversorgten 6250km Weg von Nord nach Süd quer durch Australien. Es gibt einen empfohlenen Start-Termin und eine Routenplanung, den Rest musst du selbst organisieren. Die individual time trial-Regel besagt, dass du nicht gegen Konkurrenz antrittst, sondern vielmehr deine persönliche Bestzeit einfahren sollst. Du darfst unterwegs natürlich einkaufen und auch Fahrradläden aufsuchen, wenn du eine Panne hast. Die Regeln schreiben aber vor, dass du auf dem gleichen Rad ins Ziel einfährst, mit dem du auch gestartet bist. Hier ist ein gutes Fahrrad also oberste Pflicht, damit dir dein Bike das Ultracycling nicht mit einem Totalschaden ruiniert. 

https://www.breathtakingevents.info/about

 

Ultracycling bringt dich und dein Material ans Limit!

Nicht nur die Fahrer*innen, die sich einer Ultracycling-Challenge stellen, müssen alles geben, auch an die Fahrräder stellt Ultracycling hohe Ansprüche! Beim Material kommt es auf einen gesunden Mix aus geringem Gewicht und hoher Belastbarkeit an. 

Die meisten Ultracycling-Fahrten werden auf Endurance Rennrädern oder Gravel Bikes gefahren. Bei Rennen wie dem Trans Am Bike Race könnten auch Hardtails das passende Fahrzeug sein. Ob und welche Fahrradtaschen du brauchst, hängt davon ab, wie lange du unterwegs bist und ob du auf self-support angewiesen bist. Und Achtung - da Nachtfahrten zum Ultracycling ganz einfach dazugehören, werden hervorragende Fahrradlampen, Leuchtwesten oder High-Vis-Bekleidung oft vom Veranstalter empfohlen oder sogar vorgeschrieben!



Titelbild: Tim Foster auf Unsplash

 

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