Er ist der „El-Nino“ des Downhillsports. Nino Antic ist jedem deutschen Downhill-Racer ein Begriff, auch wenn er sein Racebike nach der letzten Saison an den so berühmten Nagel hängte. Wir wagten mit ihm ein Experiment: Während des iXS Dirt Masters Festivals trat Nino beim Enduro-One Rennen gleich zweimal an. Einmal in der E-Bike Klasse, einmal normal. Und wir waren sehr gespannt darauf, mit welchem Bike „E-Nino“ mehr Spaß hatte!
Zurückgetreten vom Downhill-Rennsport aber lange nicht in Rente: Nino gibt jetzt auf dem Endurobike Gas. Und manchmal hilft dabei der kleine E-Motor!
Beim Thema E-Bike scheiden sich die Geister. Für die einen ist es der heiße Trend, der den Spaß am Radsport neu entfacht und neue Möglichkeiten eröffnet. Für andere ist es ein rotes Tuch, ein Umweltfrevel, die Aufgabe jedes sportlichen Ehrgeizes und der erste Schritt ins Altersheim. Fakt ist, dass E-Bikes schon lange nicht mehr nur für den Weg zur Arbeit taugen, sondern auch im sportlichen Geländeeinsatz immer öfter angetroffen werden. Mittlerweile gibt es sogar eine E-Bike-Wertung in vielen Mountainbike-Rennen. So wie beim Enduro-One-Auftaktrennen in Winterberg. Auf der Startliste der E-Biker steht der Name eines Fahrers, dem man so einiges nachsagen kann aber ganz bestimmt weder mangelnden Ehrgeiz noch fehlenden Sportsgeist. Nino Antic schickt sich an, sich als Rennfahrer neu zu erfinden. Nach jahrzehntelangem Vollgasmodus als einer der schnellsten Deutschen Downhillfahrer nun ein neuer Lebensabschnitt. Mit E, aber nicht nur: Nino wird an diesem Wochenende auch in der normalen Klasse an den Start gehen. Und er nimmt mich mit auf einen Direktvergleich der anderen Art. Für einen Tag lang bin ich Ninos Schatten und werde versuchen, herauszufinden, was denn nun mehr Spaß macht: Mit „E“ oder ohne!
Der kleine Unterschied: Das Display an diesem Endurobike verrät, dass ein E-Motor beim Pedalieren hilft. Na dann mal los…!
Ich muss ehrlich gestehen, ich bin eher einer dieser Skeptiker. Radfahren bedeutet für mich zu schwitzen, zu keuchen und sich seine Abfahrten bitte schön selbst zu verdienen. Heute geht es nicht anders: Ich muss E-Bike fahren. Wie sonst sollte ich Nino folgen, der schon ohne Motorkraft mächtig unter Strom steht? Ein leichter Druck auf den „On“-Knopf und es kann losgehen. Noch zeigt der Akku 100 Prozent an. Hoffentlich reicht’s bis zum Ende des Rennens. Nino und ich fahren los in Richtung Start. Durch den Bikepark und vorbei an all den rechtschaffenen Radlern, die sich ihre Höhenmeter ehrlich verdienen. Beschämt versuche ich besonders leise zu fahren, damit niemand bemerkt, wie er von mir überholt wird. Und ich schaue dabei weg, damit mich niemand erkennt. Verdammt, das ist doch unfair! Nino kennt dieses Gefühl: „Mir ging es am Anfang genauso wie dir. Es fühlte sich schlecht an, dass ich für den Bergab-Spaß nicht den gleichen Leistungsaufwand aufbringe wie die anderen. Schnell habe ich aber gemerkt, dass man sich mit so einem E-Bike auch richtig fertig machen kann. Außerdem bin ich das doch gewohnt: Uns Downhillfahrern wird doch ohnehin immer nachgesagt, dass wir ja eh nur Bergab fahren können. Also was ist es für ein Unterschied, ob ich mit einem Lift oder mit dem E-Bike den Berg hinauf komme. Mit dem E-Bike macht es ehrlich gesagt viel mehr Spaß!
Lift oder E-Bike? Da kann sich jeder sein eigenes Bild machen…!
Leise surrend und ohne große Anstrengung nähert sich der Schwarm E-Enduristen dem Start zur Stage 1.
Ich versuche mich locker zu machen. Die Reaktionen der unmotorisierten Biker sind ohnehin erstaunlich freundlich. Zumindest hier im Bikepark herrscht ein lockeres Miteinander. Und die mit E-Motor fahren halt schonmal vor. Da macht es auch Sinn, dass die E-Bike-Klasse zuerst startet. Gemeinsam mit den anderen Fahrern unseres Startblocks geht es also los in Richtung Stage 1. Nicht wirklich außer Atem kommen wir oben an. Ob das schon Sport ist? Ich weiß es nicht. Aber Spaß macht es! Doch das hier ist ja nicht nur Spaß. Es ist auch ein Rennen. Wer Nino kennt, weiß auch, dass er zumindest auf Downhillrennen ziemlich ehrgeizig war. Und heute? Nino wirkt deutlich nervöser, je näher der Start rückt: „Ich gehe immer noch mit dem gleichen Ehrgeiz an den Start, aber mit wesentlich mehr Erfahrung. Ein bisschen Aufregung gehört aber immer dazu. Und ein Rennfahrer gibt immer alles, sobald die Zeit läuft. Alles andere ist gelogen.“ Soweit scheint alles beim Alten. Und auch sonst ist alles, wie gehabt: Das Startsignal, der konzentrierte Blick und dann gibt Nino alles. Wir sehen uns im Ziel.
Egal ob mit Motor oder ohne: Ninos Rennblick wird sich niemals ändern!
Eine Stage nach der Anderen…
Stage 1 ist geschafft. Nun rollen wir auf unseren flinken Bikes durch den Bikepark, angetrieben von einer unsichtbaren Kraft, leise surrend, kaum zu hören aber deutlich zu spüren. Es gibt keine Anstiege mehr. Nur noch Abfahrten. Und sogleich soll die zweite des Tages folgen. Ich rolle schonmal vor, um ein paar Fotos zu schießen. Ein Fahrer nach dem anderen rauscht an mir vorbei. Bergab spielt der Motor kaum eine Rolle. Was hier zählt ist und bleibt die Bike-Beherrschung. Dann kommt Nino. Schnell wie der Wind, das sieht gut aus. Ich packe die Kamera ein und hetze hinterher. Unten angekommen verheißt Ninos Blick nicht Gutes: Plattfuß! Probleme aus der alten Welt. Doch mit einem neuen Lösungsansatz: Während Nino im normalen Endurorennen jetzt ein echtes Problem hätte (scheinbar ist der Tubeless-Reifen etwas undicht), stellen wir schnell auf „Turbo“, pumpen nochmal auf und fliegen durch den Bikepark hoch zum Maxxis-Stand, noch bevor die Pelle wieder platt ist. Schnell den neuen Reifen drauf und zurück zum Rennen! Zwar schrumpft die Akku-Anzeige sichtlich bei dieser Turbo-Einlage aber schon bald sind wir wieder an den anderen dran.
Noch ist alles gut. Nur wenig später ist die Luft raus. Die typischen Probleme beim Mountainbiken eben, egal ob mit oder ohne „E“
Weiter geht’s: Nino rollt das Feld von hinten auf.
An Stage 3 staut sich das Fahrerfeld – Zeit sich ein bisschen zu unterhalten. Die ein oder andere Frage muss ich nämlich an Nino loswerden. Schließlich kenne ich diesen Kerl schon ewig. Ich habe mit Nino eine „kleine“ gemeinsame Rennvergangenheit, die locker 20 Jahre zurück reicht. Früher war er El-Nino, der „alles-oder-nichts Downhiller“ mit einer langen Liste von Verletzungen, wenn es statt „alles“ mal wieder „nichts“ war. Kam der Tag, an dem er davon einfach die Nase voll hatte? Nino: „Auf keinen Fall habe ich die Nase voll vom Downhillsport! Downhill ist und bleibt mein Lieblingssport. Aber nach dem letzten großen Sturz habe ich mir etwas mehr Gedanken gemacht über meine Zukunft. Ich wollte nicht mehr in die traurigen Gesichter meiner Kinder und meiner Frau sehen, wenn sie mich mal wieder im Krankenhaus besuchen mussten. Meine Frau hat mich immer gepusht und hat mir den Rücken freigehalten. Anders schaffst du es nicht, immer wieder dein Comeback zu feiern. Downhill ist die Formel-1 des Radsports und wenn du nicht zu 100 Prozent fit bist, bekommst du Probleme. Ich war immer fit, habe aber immer viel Pech gehabt. Vielleicht lag es auch ein bisschen an meinem Fahrstil. Darüber habe ich auch mit meinem Sponsor Giant gesprochen, die diese Entscheidung akzeptierten und mich nun als Teamleiter für das Giant Germany Offroad Team eingebunden haben.“
Sprechstunde in der Rennschlange. Nino plaudert aus dem Nähkästchen.
Soweit, so schlüssig. Ich freue mich, dass Nino dem Sport verbunden bleibt, gleichzeitig möchte ich aber wissen, was ihn denn nun aufs E-Bike holte. Schließlich kann man es doch auch auf einem herkömmlichen Bike ruhiger angehen lassen, oder nicht? Nino: „Ich bin mehr oder weniger durch meine Knieverletzung zum E-Bike gekommen. Damit konnte ich wieder eher Rad fahren, mein Knie schonen und schneller wieder ganz fit werden. Heute nehme ich das E-Bike gerne, wenn ich schnell noch eine kleine Runde drehen will und nicht ganz soviel Zeit habe. Cool ist es aber auch, wenn ich mit meiner Frau trainiere. Sie mit E-Bike und ich mit nem normalen Rad. Das spornt mich an.“
Volle Konzentration. Nino ist im Rennmodus, wie eh und je!
Wer fährt beim Enduro-Rennen schon in zwei Klassen mit? Nino sorgt auf jeden Fall für Gesprächsstoff.
Genug geredet. Stage 3 will bearbeitet werden. Nino legt vor, ich kämpfe mich hinterher. So langsam habe ich mich an das etwas behäbigere Gefühl beim Springen gewöhnt und daran, dass ich beim Antreten aus der Kurve heraus erstaunlich viel Druck habe. Ansonsten fühlt sich mein elektrisierter Untersatz beinahe an, wie ein ganz normales Endurorad. Bis die Stage zu Ende ist. Dann folgt mal wieder so ein mieser Anstieg, einer, der geradewegs einen Skihang hoch führt und so steil ist, dass selbst ich wenig Lust verspüre, ihn ohne Hilfe zu erklimmen. Wir sausen stattdessen bergauf. Meine anfängliche Scham ist noch nicht ganz verflogen aber statt Hohn ernten wir interessierte Blicke. Viele Fahrer beobachten unser Treiben, sind zwar verwundert über unsere Bikes aber auch sehr interessiert an unserem „Experiment“. Scheinbar hat es sich mittlerweile rumgesprochen, dass Nino in beiden Klassen antritt und er wird fleißig angefeuert. Alles scheint gut. Bis passierte, was nicht passieren darf.
Die Transfer-Passagen beim Enduro-One-Rennen in Winterberg waren wie geschaffen, um die Vorzüge eines E-Bikes kennenzulernen!
Die Stimmung ist super! Auftanken an der Verpflegungsstelle.
Wir stehen am Start von Stage 5. Unsere baugleichen Bikes liegen nebeneinander am Wegesrand. Nino verschwindet noch kurz im Gebüsch, um danach seinen Rennlauf zu starten. Er schnappt sich sein Bike und gibt auf Kommando Vollgas. Ich schieße ein Foto vom Start, packe ein und fahre hinterher. Zuerst fällt mir auf, wie hoch mein Sattel ist. Und irgendwie fühlen sich die Bremsen anders an. Viel zu spät bemerke ich den Transponder am Lenker – „mein“ Bike hat doch gar keinen! Verdammt. Im Eifer des Gefechtes hat sich Nino das falsche Bike geschnappt und ich bin gerade dabei, seinen möglichen Sieg zu vertrödeln. Im Ziel angekommen hat Nino auch schon bemerkt, was passiert ist. Ich kenne diesen Blick. Es ist derselbe von damals, wenn Nino im Rennlauf eine Linie nicht getroffen oder sich verbremst hat. So ein Mist. Das Rennen ist gelaufen. Der Spaß-Faktor tut es gerade dem Akku-Ladestand gleich und sinkt deutlich unter 50 Prozent. Kurz ein bisschen Frust schieben. Dann beschließt Nino, das Beste draus zu machen. Shit happens. Weiter geht’s.
Kurz nach dem verhängnisvollen Fehler: Ohne Transponder am vermeintlich eigenen Rad kann Nino noch so schnell fahren…
Schnell ist der Fehler vergessen und Nino gibt wieder Gas. Noch ist nichts verloren.
Mit jeder der verbleibenden Stages bessert sich die Laune wieder. Bei allem Ehrgeiz: Dieses (E-)Biken macht doch einfach zu viel Spaß, um eine saure Miene zu ziehen. Und selbst bei jemandem wie Nino ist und bleibt das doch der springende Punkt. Welchen Sinn ergibt das alles ohne Spaß? Und so kommen wir gegen Mittag mit bester Laune im Ziel an, wohl wissend, dass erst Halbzeit ist. Denn wir fahren die Runde nun noch einmal, ohne E-Motor. Kurz blitzt der Rennfahrer in Nino auf, als er sich ohne große Erwartungen informiert, wo er sich denn nun platziert hat. Und siehe da: Trotz seines Fehlgriffs und meiner Bummelfahrt führt er den Elektrotross an! „Wir“ liegen auf Platz eins. Touché!
Mit Vollgas ins Ziel. Runde 1 ist geschafft, nun wird ohne Motor gekämpft.
Der Blick auf die Ergebnisse offenbart, womit Nino nicht mehr gerechnet hat: Platz 1 in der E-Bike-Klasse!
Pause am Giant-Stand. Nino bekommt ein „normales“ Endurobike. Der Akku war eh leer…
Die zweite Halbzeit soll ein bisschen anstrengender werden. Zumindest für Nino. Ich bekomme bei Giant den Akku gewechselt und bleibe begleitet von einem leicht schlechten Gewissen elektrisiert. Zumindest gegenüber Nino ist unterdessen meine Scham einer gewissen Bosheit gewichen: „Los Nino, wo bleibst du denn?“. Dem ein oder anderen mag es gar nicht auffallen, dass Nino gewechselt hat: Fit ist der Downhill-Pensionär aus dem Ruhrpott nach wie vor. Allerdings ist er da nicht der Einzige. Das Feld der Enduro-Rennfahrer ist gut besetzt und es dürfte deutlich schwieriger werden, die Top-Platzierung vom E-Biken auch in der motorlosen Klasse zu behaupten. Aber das macht keinen Unterschied in Nino’s Art und Weise, dieses Rennen zu fahren. Ehrlich gesagt fühlt es sich auch gar nicht so an, als wenn die zweite Runde auf einem anderen Bike stattfindet. Nino fährt Rennen. Punkt. Er ist am Start genau so motiviert, genau so konzentriert und sein Blick, sobald er in die Pedale tritt, ist vom selben Kampfgeist geprägt, wie eh und je.
Das Arbeitsgerät für Runde 2: Ninos Endurobike „Reign“
Diesen Ladies hier ist es ziemlich wurscht, mit was wir da an ihnen vorbei fahren…
Gleiche Strecke, anderes Bike. Fürs Foto macht es kaum einen Unterschied.
Noch einmal wird es spannend. Aber nicht wegen dummer Fehler, sondern wegen des Wetters. Am Himmel braut sich etwas zusammen und wir können nur hoffen, dass wir das Rennen vorm großen Unwetter beenden. Wir beeilen uns und haben Glück. Kaum, dass wir zurück am Giant-Zelt sind, öffnet sich die Himmelspforte – jeder, der in Winterberg war, weiß wovon ich rede. Das Timing perfekt. Genau wie alles andere. Wir hatten einen tollen Tag und irgendwie muss ich sagen, dass es beinahe egal war, auf welchem Rad wir unterwegs waren. Denn am Ende hatten wir eine gute Zeit. Endlich sind wir mal wieder zusammen unserem liebsten Hobby nachgegangen. Haben andere Biker getroffen und hatten eine gute Zeit im Wald. Darauf kommt es doch an.
Alle schieben, einer tritt: Auch ohne Motor kennt Nino nur den „Turbo“-Modus
Geschafft! Zum zweiten Mal passiert Nino das Ziel!
Bin ich nun „bekehrt“ und kaufe mir ein E-Bike? Sicher nicht. Aber ich sehe, wie viel Spaß die Fahrer auf ihren Bikes mit Extrapower hatten. Und mal ehrlich: Auf der anderen Seite des Berges lassen sich die Downhiller vom Lift zum Start bringen. Das ist doch in etwa dasselbe, oder nicht? Natürlich wird dafür Energie benötigt, die nicht aus einer blühenden Blumenwiese kommt. E-Biken ist eben nicht Fahrradfahren. Es ist eine andere Spielart, im Gelände Spaß zu haben und sie nutzt einen Motor. Noch viel mehr, als beim Mountainbiken ohnehin, liegt es bei jedem Einzelnen, sich verantwortungsbewußt zu verhalten. Doch unterm Strich bleibt eine Menge Spaß, eine Menge Schweiß, viel Bewegung und derselbe sportliche Ehrgeiz, den ich von jedem Rennen kenne. Und eines kann das E-Bike, was ein normales Endurorad nicht vermag: Es bringt jenen den Spaß am Biken zurück, die wir sonst aus verschiedensten Gründen vom Sattel an die Couch verloren hätten.
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